Oktober 2020

Forschungsnetzwerk ROOTS (Exzellenzcluster) Subcluster Roots of Conflict: Competition and Conciliation

Die Rolle von Grenzen, Befestigungen, Ressourcen, sozialer Ungleichheit in Eskalations- und Deeskalationsprozessen von Konflikten im frühmittelalterlichen Osteuropa

PD Dr. Jens Schneeweiß

Wo Menschen miteinander in Beziehung treten, gibt es Konfliktpotenzial. Konflikte entstehen auf verschiedenen Ebenen und stellen immer eine Herausforderung für alle Beteiligten dar. Das Spektrum möglicher Konfliktlösungen ist dabei sehr groß und umfasst weit mehr als Streit, Krieg und Gewalt.
Das Forschungsfeld von Konflikten in der Archäologie eröffnet neue Perspektiven auf langanhaltende Konflikte und nachhaltige Lösungsstrategien. Die komplexen und facettenreichen Beziehungen, Verläufe und besonders Lösungen von Konflikten in vergangenen Gesellschaften wurden bislang noch nicht mit einem ganzheitlichen interdisziplinären Ansatz unter Einbeziehung moderner Methoden untersucht.
Sobald mehrere Akteure verschiedene Interessen und Ideen verfolgen, sind potenziell Konflikte vorhanden. Sie können auf unterschiedliche Weise gelöst werden, z. B. durch Verhandlung, durch Wettstreit, durch Rituale, durch Migration oder durch Gewalt. Wettstreit und Schlichtung sind häufig miteinander verbunden. Im Rahmen des Subclusters soll von Wissenschaftlern der Universität Kiel und des ZBSA ein mehrstufiges Modell von Konfliktverläufen erarbeitet werden, dessen Grundlage die empirische Identifizierung von Ursachen, Verläufen und Beilegungen von Konflikten in der Vergangenheit bilden.

Eskalationspyramide
Schematische Darstellung des Eskalations- bzw. Deeskalationsverlaufs von Konfl ikten (Grafik: Oliver Nakoinz, Jutta Kneisel, Hermann Gorbahn).

Aktuelle Theorien legen häufig den Schwerpunkt auf Gewalt. Dem entgegen werden neue archäologische Konflikttheorien formuliert, die Aspekte der Schlichtung, friedlichen Beilegung und Vermittlung in den Vordergrund stellen. Archäologische Theorien zur Konfliktlösung oder Vermeidung von Gewaltstrategien sind – im Gegensatz zu den Themen Krieg und Gewalt – immer noch ein Desiderat. Die enge Verbindung konfliktbezogener kultureller, sozialer und ökologischer Faktoren erfordert ein hohes Maß an Konnektivität und Interdisziplinarität bei ihrer Erforschung.
Es wird die Rolle von Landschaft, natürlicher Umgebung, Subsistenz oder von räumlichen, sozialen und sprachlichen Grenzen bei der Ausformung von Konfliktdynamiken sowie die Bedeutung dieser Abgrenzungskriterien in Konfliktlösungen zwischen und innerhalb von Gesellschaften untersucht.
Ein Schwerpunkt wird auch auf qualitative Unterschiede in der materiellen Kultur und Sprache gelegt, die konkurrierende Strategien und Auswirkungen von Handelsbeziehungen und den Austausch von Technologien und Menschen anzeigen können. Die Forschungen innerhalb des Subclusters konzentrieren sich auf vier Schwerpunkte: 1) Verfügbarkeit von Rohstoffen, 2) Produktion und Arten des Austauschs, 3) Rituale, Religion, Ideologie und Kommunikation, 4) Grenzen und Befestigungen.

Der Fokus der im Herbst 2019 aufgenommenen Forschungen am ZBSA liegt auf frühgeschichtlichen Burgenlandschaften im östlichen Ostseeraum. Im Mittelpunkt stehen nicht nur territoriale, sondern auch kulturelle Grenzbereiche der slawischen Welt mit ihren vielfältigen Konfliktpotentialen auf unterschiedlichen Ebenen. Während die Gesellschaft der Slawen, zumindest in der Frühzeit, meist akephal und egalitär gedacht wird, entwickelten die „Wikinger“ hocheffiziente globale Netzwerke einer Händler-Krieger-Elite mit polyethnischen und multikulturellen Handelsplätzen. In den meisten von ihnen finden sich auch Spuren destruktiver Gewalt. Die Ambivalenz von Wikingern und Slawen, die im Früh- und Hochmittelalter als Kaufleute und Krieger, Bauern, Piraten und Diplomaten auftreten, macht sie für die Konfliktforschung besonders interessant.

Magnetprospektion.
Magnetprospektion in der Unstrutebene beim Kloster Memleben (Sachsen-Anhalt) im August 2020. Memleben war eine bedeutende ottonische Pfalz, sowohl Heinrich I. als auch Otto der Große starben hier. Die genaue Lage ist unbekannt (Foto: Anna Bartrow).

Aufgrund der Einschränkungen von Reisen und Feldforschungen im Ausland durch Covid-19 hat sich für 2020 eine Schwerpunktverschiebung auf den slawisch-deutschen Grenzraum ergeben. Im Mittelalter war das Verhältnis der slawischen Verbände zueinander und zu ihren westlichen Nachbarn von vielfältigen Konflikten, Koalitionen und Konfrontationen geprägt. In der Karolingerzeit traten Slawen als unterschiedliche Bündnispartner in den Auseinandersetzungen der Franken, Sachsen und Dänen um die Nordostgrenze des Fränkischen Reiches Karls des Großen in Erscheinung. Sie war als stabile Abgrenzung des christlichen Reiches von den paganen Nachbarn im Norden und Osten geplant, nachdem die Sachsen endgültig besiegt, christianisiert und ins Reich integriert waren. Die ottonische Herrschaft war dagegen von einem expansiven Missionierungsdrang getragen, durch den die westslawischen Siedlungsgebiete gewaltsam in Tributabhängigkeit vom Ostfränkischen Reich gerieten. Dieses Vorgehen führte zur Eskalation des Konflikts, die in einer heidnischen Gegenreaktion zum Slawenaufstand von 983 führte und die Christianisierung in weiten Gebieten Nordostdeutschlands um fast 200 Jahre zurückwarf. Erst der Landesausbau unter Heinrich dem Löwen erreichte durch gezielte Siedlungspolitik die endgültige Christianisierung und Einführung der Grundherrschaft in den slawischen Gebieten zwischen Elbe und Oder ab der Mitte des 12. Jh.

Sondagegrabung auf einer Hofstelle des Rundlingsdorfes Granstedt im Hannoverschen Wendland.
Sondagegrabung auf einer Hofstelle des Rundlingsdorfes Granstedt im Hannoverschen Wendland (Niedersachsen) im Juli 2020 (Foto: Jens Schneeweiß).

Zahlreiche Fragen zum konkreten Verhältnis der westeuropäischen Neusiedler zu ansässigen Slawen und zu ihrer jeweiligen Rolle beim Landesausbau sind noch ungeklärt. An der westlichen Peripherie des slawischen Gebietes haben sich im Hannoverschen Wendland zahlreiche Rundlingsdörfer erhalten, deren kreisförmiger Grundriss mit um einen freien Platz herum angeordneten tortenstückförmigen Flurstücken eine planmäßige Dorfform aus der Zeit des Landesausbaus ist. Die genaue Genese dieser sogenannten Rundlinge ist noch ebenso ein Forschungsdesiderat wie die Geschichte ihrer ersten Bewohner, also wer durch wen hier angesiedelt wurde.

Es ist lediglich sicher, dass die planmäßig angelegten Dörfer für die Einführung der Grundherrschaft von großer Bedeutung waren.
Der karolingisch-sächsisch-dänisch-slawische Grenzraum wurde in den letzten Jahren mit umfangreichen Geländeforschungen exemplarisch an der unteren Mittelelbe untersucht. Im Sommer 2020 wurde das Manuskript mit den umfassenden Ergebnissen fertig gestellt. Es erscheint im Herbst 2020 als Buch mit dem Titel „Zwischen den Welten. Archäologie einer europäischen Grenzregion zwischen Sachsen, Slawen, Franken und Dänen“.

Literatur

J. Schneeweiß, Zwischen den Welten. Archäologie einer europäischen Grenzregion zwischen Sachsen, Slawen, Franken und Dänen. Göttinger Schriften zur Vor- und Frühgeschichte 36. Wachholtz-Verlag Kiel/Hamburg 2020. Im Druck

O. Nakoinz, J. Kneisel, H. Gorbahn, Competition and Conciliation: Modelling and Indicating Prehistoric Conflicts. In: S. Hansen, R. Krause (Hrsg.), Materialisierung von Konflikten. Beiträge der Dritten Internationalen LOEWE-Konferenz vom 24. bis 27. September 2018 in Fulda. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 346. Habelt-Verlag Bonn 2020, 1–12.