März 2020

Das Nordfriesische Watt

Dr. Ruth Blankenfeldt

Die Küstenregion Nordfrieslands stellt einen geomorphologisch hoch dynamischen Naturraum dar und ist als Teil des UNESCO-Welterbes Wattenmeer unter Schutz gestellt. Zugleich handelt es sich auch um das Relikt einer untergegangenen Kulturlandschaft: Umwelteinflüsse wie Meeresspiegelschwankungen und Stürme, aber auch Deichbau und künstliche Landgewinnung veränderten die Region in den letzten Jahrtausenden ständig.
Historische Hinterlassenschaften auf den Geest- und Marscheninseln sowie auf den Halligen sind relativ gut erschlossen. Die archäologische Bearbeitung der ehemals besiedelten und bewirtschafteten Gebiete, die heute in Küstennähe und durch den Gezeitenstrom mal über und mal unter Wasser liegen, unterliegt jedoch anderen Faktoren als es bei »normaler« Festlandarchäologie der Fall ist.
In einem interdisziplinären Forschungsprojekt wird angestrebt, große Teile der Kulturlandschaft des Nordfriesischen Wattenmeers zu erfassen, zu vermessen und zu dokumentieren. Fragen über die Entwicklung der heutigen Küstenlandschaft stehen dabei ebenso im Fokus wie die Suche nach ehemaligen Siedlungslandschaften und Aussagen zu deren Ausdehnung und Nutzung. Die kartographische Dokumentation (geo-)archäologischer Relikte stellt auch den Ausgangspunkt zur Bewertung des Erhaltungszustandes dar. Hierdurch sollen Prüfsteine erarbeitet werden, die den Archivcharakter der jeweiligen Wattflächen umschreiben und auch definieren, wo bspw. aufgrund erhöhter Gefährdung durch Erosion oder Überlagerung ein intensives Monitoring nötig sein wird.
Das Forschungsvorhaben baut auf das 2015–2018 im Rahmen des SPP 1630: Häfen von der Römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter durch die DFG geförderte Projekt »Gewerbewurten und Geestrandhäfen – mittelalterliche Handelshäfen an der deutschen Nordseeküste« auf. Hierbei durchgeführte systematische geophysikalische Untersuchungen konnten erstmals in einem Teilbereich des Rungholtgebiets einen Abschnitt des mittelalterlichen Hauptdeiches samt Schleusenanlagen unter dicken Sandschichten lokalisieren und vermessen.
2019 wurde ein Folgeantrag auf Forschungsförderung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht. Federführend ist Dr. Hannah Hadler, Geographisches Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ziel ist einerseits die Kombination geophysikalischer und geoarchäologischer Untersuchungen, zunächst vor allem im Umfeld des Handelsplatzes Rungholt. Diese Feldarbeiten werden von Mitarbeitern des Geographischen Instituts der Universität Mainz sowie des Instituts für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität Kiel geplant und geleitet. Im Rahmen dieser Arbeiten werden jährlich auch Geländepraktika für Studierende beider Universitäten durchgeführt.

Auf dem acht Kilometer langen Fußweg zum Rungholtgebiet müssen täglich umfangreiche Mess- und Arbeitsgeräte händisch transportiert werden (Foto: Ruth Blankenfeldt).Auf dem acht Kilometer langen Fußweg zum Rungholtgebiet müssen täglich umfangreiche Mess- und Arbeitsgeräte händisch transportiert werden (Foto: Ruth Blankenfeldt).

Das bereits sehr erfolgreich im Watt erprobte moderne Spektrum aus Gelände- und Labormethoden soll nun deutlich um historische und archäologische Facetten ergänzt werden. Hierzu gehören u. a. die digitale Aufarbeitung historischer Karten, Ortsakten und Fundberichte. Altes Material kann so auf modernen Kartierungen und Luftbildern abgebildet werden. Aufgrund der extrem dynamischen Prozesse im Zielgebiet ist die Verschneidung sämtlicher Materialien in einem GIS-Projekt dringend erforderlich. Auf lange Sicht ist diesem auch die stetig anwachsende Fundstellen-Datenbank des ALSH beizufügen. Erst mit Bereitstellung dieses Werkzeuges sind für Makro- sowie Mikroregionen Landschaftsentwicklungen abbildbar und auch aktuelle und kommende Veränderungen zu bewerten. Die Luftbilder der letzten Jahre aus dem Rungholtareal zeigen etwa einen breiten Priel, der sich pro Jahr um mehrere Meter weiterbewegt und dessen Verlauf nicht nur nachvollziehbarer, sondern auch absehbarer vorhersehbar wird. Jüngste Luftbilder aus dem Arbeitsgebiet zeigen allerdings auch die Entstehung eines neuen Priels, welcher nicht vorhersehbar war, aber vermutlich einen massiven Eingriff in das Untersuchungsgebiet haben wird.

Mit ablaufendem Wasser werden im Rungholtgebiet Kulturspuren, wie der hier zu sehende Brunnen, sichtbar (Foto: Ruth Blankenfeldt).Mit ablaufendem Wasser werden im Rungholtgebiet Kulturspuren, wie der hier zu sehende Brunnen, sichtbar (Foto: Ruth Blankenfeldt).

Zielgerichtete Ortsbegehungen sind ein wichtiger Bestandteil des Projektes. Durch das Archäologische Landesamt Schleswig werden bereits seit vielen Jahren regelmäßige Begehungen, wie bspw. nach den Winterstürmen oder aufgrund von Fundmeldungen, durchgeführt. Prospektionen mit Metalldetektoren erbrachten dabei zusätzlich relevante Funde. Zukünftig sind diese Aktionen in ausgewählten Gebieten auszudehnen.
Die Möglichkeit einer systematischen Absuchung größerer Bereiche des Wattenmeeres mit Metallsonden ist aufgrund des täglich geringen Zeitfensters nicht mit den Bedingungen an Land zu vergleichen. Das Auffinden mittelalterlicher Tracht- und Bewaffnungsbestandteile sowie weiterer aussagekräftiger Metallkleinteile zeigt aber, dass diese Methode auch hier erfolgversprechend ist. Aufgrund der speziellen Bedingungen ist der Einsatz von Metalldetektoren durch sehr gut geschultes Personal nötig. Neben den Mitarbeitern des Archäologischen Landesamtes sind hier die zertifizierten Mitglieder der Detektorengruppe Schleswig-Holstein zu nennen, die als absolute Profis an ihren Geräten bezeichnet werden können und somit sicherlich die optimale Ausnutzung der zur Verfügung stehenden Zeit in einem Untersuchungsgebiet gewährleisten.

Die Umstände im Wattenmeer stellen den Detektorgänger und sein Gerät vor besondere Herausforderungen (Foto: Ruth Blankenfeldt).Die Umstände im Wattenmeer stellen den Detektorgänger und sein Gerät vor besondere Herausforderungen (Foto: Ruth Blankenfeldt).

Die stetig verbesserten Messmethoden der geophysikalischen und geoarchäologischen Wissenschaften bewirken auch ein ständiges Anwachsen neuer Fundstellen. 2019 wurde bspw. bei einer zweitägigen Aktion bei Nordstrand durch Geomagnetik eine Ansammlung ehemaliger Wurten abgebildet, die bis dahin unbekannt waren. Sämtliche bereits bekannten sowie neuen Daten sollen durch eine Langzeitarchivierungsstrategie der Nachwelt zur Verfügung stehen. Für diesen archäologischen Teil sind das Archäologische Landesamt Schleswig als Obere Denkmalbehörde sowie nun auch das ZBSA verantwortlich.

Typische Keramikformen wie dieser zerscherbte Friesenpott werden zahlreich im Rungholtgebiet freigespült (Foto: Ruth Blankenfeldt).Typische Keramikformen wie dieser zerscherbte Friesenpott werden zahlreich im Rungholtgebiet freigespült (Foto: Ruth Blankenfeldt).

Neben der Untersuchung bestimmter Regionen wie z. B. das Areal um den mittelalterlichen Handelsplatz Rungholt sowie der Archivierung sämtlicher Funde und Fundbereiche sind zukünftig Fragestellungen zu erarbeiten, welche auf großräumige Gebiete im nordfriesischen Watt sowie auf weitreichendere chronologische Zusammenhänge anwendbar sind. Denn trotz aller Faszination, die der Untergang von Rungholt in der verheerenden Sturmflutnacht am 16. Januar 1362 auch heute noch ausübt, hat das im Weltnaturerbe Wattenmeer gelegene nordfriesische Watt ein archäologisch weitaus größeres Potenzial. Vom steinzeitlichen Gerät über Schiffsreste unterschiedlicher Zeitstellung bis zu neuzeitlich untergegangenen Siedlungs- und Wirtschaftsgebieten ergibt sich hier ein vielfältiges Kaleidoskop menschlicher Hinterlassenschaften und für das gemeinsame Forschungsvorhaben von dem Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, dem Institut für Geowissenschaften der Christian-Albrechts-Universität Kiel, dem Archäologischen Landesamt Schleswig sowie dem ZBSA somit vielfältiges Potenzial zukünftiger Forschungen.

Ein Pferdeschädel – vermutlich ein während der großen Mandränke ertrunkenes Tier (Foto: Ruth Blankenfeldt).Ein Pferdeschädel – vermutlich ein während der großen Mandränke ertrunkenes Tier (Foto: Ruth Blankenfeldt).