Archäologische Bildwissenschaft
Network for Image Studies in Archaeology
Prof. Dr. Alexandra Pesch
Bilder, Ornamente, Symbole und Zeichen sind authentische Hinterlassenschaften von Kulturen oder Gruppen. Es handelt sich um identitätsstiftende und determinierende Elemente sowie um sinntragende Medien der Kommunikation. Ihre Dechiffrierung ermöglicht heute in der Ergänzung zu archäologischen Erkenntnissen ein tieferes Verständnis historischer Zustände und Entwicklungen in kultureller, politischer und religiöser Hinsicht, gerade dann, wenn es um weitgehend schriftlose Kulturen geht. Doch sowohl die Lesung als vor allem auch die Deutung vieler auf archäologischen Objekten erhaltenen Bildmotive, Zeichen und Symbole sind heute umstritten. Figürliche, ornamentale oder zeichenhafte Darstellungen sind nur durch die Identifizierung ihrer einstigen Kontexte in ihrem ehemaligen Aussagewert sowie der historischen Bedeutsamkeit zu verstehen. Aber es fehlt an übergreifenden methodischen Ansätzen und gesicherten Zugangswegen zur Rekonstruktion dieser Kontexte. Diese Lücke möchten wir mit dem Projekt „Archäologische Bildwissenschaft“ füllen. Langfristig haben wir uns darin zum Ziel gesetzt, allgemeingültige Regeln, Prämissen und Mechanismen von Bildkunst zu ermitteln und geeignete Werkzeuge zur Deutung alter Motive und Zeichen zu erarbeiten. Hierbei wollen wir im Forschungsraum wie auch darüber hinaus Impulse geben und eine enge Zusammenarbeit mit einem breiten, interdisziplinären Netzwerk von KooperationspartnerInnen (Network for Image Studies in Archaeology) auch anderer Institutionen im In- und Ausland aufbauen: Insbesondere integrieren wir Forschende verschiedener geisteswissenschaftlicher Disziplinen mit der Idee, Zugangswege zur Bilddeutung aus unterschiedlichen Fachbereichen zu korrelieren.
Ziel des langfristig angelegten Forschungsprojektes ist letztlich die Ableitung allgemeiner Zugänge und Werkzeuge für ein zweckbezogen-funktionales wie dann auch semantisches Verständnis von alten Bilddarstellungen. Denn trotz vielfacher wissenschaftlicher Erkenntnisse und theoretischer wie auch methodischer Fortschritte der letzten Jahre fehlt es an generellen, allgemeingültigen und anerkannten Grundsätzen, welche möglichst klare, gesicherte methodische Zugangswege zu einer unvoreingenommenen Bilddeutung und archäologischen Hermeneutik eröffnen. Unsere Vision ist es, durch das Projekt die Archäologische Bildforschung als eigenen Fachbereich neben der Geschichtswissenschaft (Textquellen) und der Archäologie (Funde und Befunde) zu einem dritten Pfeiler der historischen Forschungen aufzubauen.
Projektstruktur
Zu Beginn war die langfristige institutionelle und personelle Zusammenarbeit zwischen ZBSA und RGZM im Bereich der Bildforschung ausschlaggebend für die Gründung des Projektes. Als Kerngruppe sorgte außerdem das internationale Brakteatenteam (-> siehe Projekt Goldbrakteaten) für wichtige Impulse. Seit der Integration des ZBSA in das Leibniz Zentrum für Archäologie (LEIZA, ehem. RGZM) wurde ein erweitertes Netzwerk als Träger aufgestellt, das „Network for Image Studies in Archaeology“.
Im Rahmen von mehreren Fachtagungen bringen wir Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen, die sich mit Bilddarstellungen, Bildersprachen, Bildträgern sowie theoretischen Ansätzen der Bildforschung beschäftigen. Es sollen verschiedene gebräuchliche Methoden, die in ganz unterschiedlichen Forschungsfeldern und Fachbereichen erprobt worden sind, gegenübergestellt sowie kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Bewusst geht die Perspektive über den europäischen Horizont hinaus.
Archiv
Workshop II, 2023: Bildpraktiken zwischen Weltbildern und Normsetzungen
Bildliche Darstellungen sind eine ergiebige Quelle zur Erschließung und Rekonstruktion von Weltbildern vergangener Kulturen. Dabei spiegeln bestimmte Bilder ganz konkret politische, religiöse oder kulturelle Zustände. Der Workshop widmete sich einer zentralen Funktion von Bildern, nämlich der Vergegenwärtigung und aktiven Propagierung von kulturellen Standards, Weltbildern und Normen. Als Bildpraxis verstehen wir dabei den konkreten Umgang mit Bildern und bildtragenden Objekten sowie ihre praktische Handhabung in einem spezifischen gesellschaftlichen Kontext. Dabei wurden solche Phänomene der Rezeption, Manipulation und Zerstörung von Bildern in den Blick genommen, die Hinweise auf die Akzeptanz, Veränderung oder Ablehnung der mit den Bildern vermittelten Wertvorstellungen und Normen geben. Als einschlägige Beispiele seien bewusste Rekontextualisierungen älterer Bildwerke, die Zerstörung von Herrscherbildern oder Beseitigung von Bildern konkurrierender Religionsgemeinschaften genannt. Zu prüfen waren zudem Zusammenhänge zwischen gänzlich neuen Bildthemen und intendierten Normsetzungen oder -veränderungen.
Der Workshop wollte die Betrachtung von Bildaussagen und Bildbedeutungen mit dem Umgang sowie der Behandlung von Bildern analytisch miteinander verschränken. Über die Betrachtung des bewussten Einsatzes und der Manipulation von Bildern haben wir die zentrale Funktion von Bildern für die Aushandlung von gesellschaftlichem Konsens genauer skizziert. Dazu wurden anhand aussagekräftiger Beispiele Methoden und hermeneutische Zugänge zu Weltbildern und Normen diskutiert.
Programm
Dienstag, 28. Februar 2023
15.00 Begrüßung
15.30 Christoph Huth (Freiburg): Figurationen der Kupfer- und Eisenzeit und ihr archäologischer Aussagewert
16.00 Holger Baitinger (Mainz): Frühe vollplastische Bildwerke nördlich der Alpen – ein Beitrag zu Kulturkontakten in der Hallstatt- und Frühlatènezeit
16.30 Kaffeepause
16.45 Martin Schönfelder (Mainz): Frühe keltische Kunst: Probleme bei der Interpretation von Knollennasen und Fabelwesen
17.15 Thorben Frieling (Hamburg): Mutterlos – Athenageburt im Wandel
17.45 Annette Haug (Kiel): Zwischen den Welten wandern: Bilder als Mediatoren
Mittwoch, 1. März 2023
9.00 Charlotte Behr (London): Provinzialrömische Skulpturen von Götterbildern im kolonialen Kontext
9.30 Alexandra Pesch (Schleswig): Handhabung und Behandlung der merowingerzeitlichen Goldblechfiguren
10.00 Benjamin Fourlas und Stefan Albrecht (Mainz): Kirchenpolitisch-dogmatische Normsetzungen als Triebfeder für Bildschöpfungen, -manipulationen und -zerstörungen in Byzanz (6.-9. Jh.)
10.45 Kaffeepause
11:00 Michaela Helmbrecht (München): Re-Präsentation des Göttlichen: Einäugige Figuren der Vendel- und Wikingerzeit in Skandinavien
11.30 Sigmund Oehrl (Stavanger): Die Bildsteine Gotlands und ihre Wiederverwendung in christlicher Zeit
12.00 Renate Heckendorf (Hamburg): Vom Winde verweht – Verwitterung und Zerstörung von Petroglyphen
12.30 Abschlussdiskussion
Pilotworkshop 2021
Unser erster Pilotworkshop (4./5. Oktober 2021) im kleinen Kreis mit ausgewählten Gästen sollte helfen, die methodologischen Möglichkeiten genauer auszuloten und die Fragestellungen zu präzisieren. Es ging um die gemeinsame Analyse und Bewertung derjenigen Methoden, Regeln, Prämissen und Mechanismen, die bei den verschiedenen Deutungsansätzen Anwendung finden. In erfreulich konstruktiver Atmosphäre fanden offene Gespräch und ein echter, zielorientierter Austausch auf der Basis konkreter Fragen statt. Dieser erfolgversprechende Anfang wird durch eine lockere Reihe weiterer thematischer Workshops an unterschiedlichen Orten fortgesetzt.
Programm:
Montag, 4. Oktober
15:00 Begrüßung Leitung ZBSA
15:10 Begrüßung Alexandra Pesch, Dieter Quast
15:20 Alexandra Pesch, Einleitung und Kontextikonographie
15:45 Zum Stand der Forschung – Diskussion
16:30 Annette Haug, Bilder und Methoden in der Klassischen Archäologie
17:00 Benjamin Fourlas, Bilder und Methoden in der Christlichen Archäologie
Dienstag, 5. Oktober
10:00 Renate Heckendorf, Bilder und Methoden in der Felsbildforschung
10:30 Bettina Ventker, Bilder und Methoden in der Ägyptologie
11:00 Catrin Kost, Bilder und Methoden in der (Chinesischen u.) Skythischen Archäologie (kurzfristig ausgefallen)
11:30 Christoph Huth, Bilder und Methoden in der Hallstatt- u. Eisenzeitforschung
12:30 Mittags-Snack (vor Ort), Kaffee etc.
13:30 Markus Reindel, Komplexe Gesellschaften ohne Schrift verstehen: Bildanalyse altamerikanischer Kulturen
14:00 Charlotte Behr, Stilfragen
14:30 – ca. 17:00 Abschlussdiskussion
Research clusters
Man and Artefact
Research Priorities
Visual History
Staff
Prof. Dr. Alexandra Pesch
Dr. Ruth Blankenfeldt
In cooperation with
RGZM; Internationales Brakteatenteam; zahlreiche Kooperationspartner*innen