April 2021
Die Totenbahre aus dem Holzkammergrab von Poprad-Matejovce im Zipser Land, Slowakei
Nina Lau
Einer der bedeutendsten archäologischen Funde der Slowakei, ein „Fürstengrab“ mit hölzernen Grabkammern und Mobiliar aus der frühen Völkerwanderungszeit, wird derzeit in enger slowakisch-deutscher Zusammenarbeit im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes wissenschaftlich untersucht und publiziert. Das Grab von Poprad-Matejovce wurde 2006 am südöstlichen Fuß der Hohen Tatra in der Nordostslowakei in der historischen Region Zips (heute Prešovský kraj) ausgegraben. Die engen wissenschaftlichen Kontakte zwischen dem Archäologischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra und der Stiftung Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen Schloss Gottorf in Schleswig begründeten daraufhin ein internationales Forschungsprojekt unter slowakisch-deutscher Leitung, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus weiteren europäischen Ländern vertreten sind. Das Projekt wird unter anderem durch beide Institutionen sowie von 2012-2015 durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt.
Das Grab von Poprad-Matejovce, datiert in die späten 370er Jahre n. Chr., zeichnet sich aus durch zwei vollständig erhaltene, hölzerne Grabkammern aus Lärchenholz (Blockbau- und Ständerbauweise; die äußere Kammer misst 3,95 m, x 2,70 m, Höhe 2 m) und hölzernes Mobiliar sowie Reste der Ausstattung und Kleidung aus organischem Material (Textilien, Leder). Unter den Funden aus dem Kammergrab von Poprad-Matejovce aus der Slowakei (späte 370er Jahre n. Chr.) konnte eine hölzerne Bahre rekonstruiert werden, mit welcher der Tote im Rahmen einer Prozession zu seiner Grablege transportiert wurde. Sowohl die einzigartige Erhaltung organischer Materialien als auch die detaillierte Dokumentation des Befundes und die Analysemöglichkeiten mittels Geographischem Informationssystem und 3D-Rekonstruktionen bieten Informationen, die über den Erkenntnisgewinn vergleichbarer Grabfunde weit hinausgehen. So können Fundgattungen wie das Mobiliar und die Bestandteile der Kleidung und textilen Grabausstattung aufgezeigt werden, die sich in anderen Fundplätzen so nicht erhalten. Außerdem können exakt Handlungsabläufe bei der Konstruktion und Anlage des Grabes, der Bestattung selber, aber auch bei der späteren Beraubung nachvollzogen werden, die einen ganz neuen Einblick in einen frühgeschichtlichen Grabfund geben, der weit über eine rein materielle Analyse hinausgeht.
Die Forschungen an dem Grab von Poprad sind weitgehend abgeschlossen, so dass derzeit die mehrbändige Monographie zum Grab vorbereitet wird. Parallel zu diesen Arbeiten wird die große Ausstellung zum Grab am Podtatranské Muzeum in Poprad durch die dortigen Kolleg:innen und diejenigen des Archäologischen Instituts der Akademie der Wissenschaften in Nitra vorbereitet. In diesem Rahmen wurde durch Štefan Hritz, Karol Pieta und Tereza Štolcová vom Archäologischen Institut in Nitra und Juraj Zajonc vom Institut für Ethnologie und Sozialanthropologie in Bratislava, alle Slowakische Akademie der Wissenschaften, eine Rekonstruktion der hölzernen Transportbahre vorgenommen (Abb. 1-2). Die Rekonstruktion zeigt eine langrechteckige Kiste mit einer Länge von 234 cm und einer Breite von 75 cm (Außenmaße). Die Kiste besitzt eine Deckplatte; die Bodenplatte ist nicht erhalten bzw. konnte unter dem Fundmaterial nicht identifiziert werden. Die Kiste ist durch eine Rahmenkonstruktion mittels verschiedener Hölzer nach allen Seiten verstärkt und so für bei einem Transport vor dem Auseinanderbrechen gesichert: vier vertikal konstruierte Stangen sicherten die Kiste nach den Seiten ab; diese waren oben und unten durch quer liegende Bretter miteinander verbunden. Zusätzlich waren sie im unteren Bereich der beiden Langseiten der Kiste mit jeweils einer langen Stange verbunden, die in Längsrichtung ausgerichtet war. Diese beiden langen Stangen wurden sekundär verwendet; dies zeigen mehrere parallel zueinander angebrachte Löcher, die wohl darauf schließen lassen, dass es sich um die beiden Holme einer Anlegeleiter handelt. Offenbar wurde die Transportkiste eher provisorisch – vielleicht aufgrund von Zeitmangel durch einen unvorhersehbar eingetretenen Tod – konstruiert.
Nach der Fundanalyse der Einzelteile der Bahre in ArcScene (Abb. 3) zeigte sich, dass diese bei der Ausgrabung 2006 teilweise noch auf dem Dach der inneren Kammer lagen, der Großteil jedoch im Zuge der Graböffnung auf den Boden in den schmalen westlichen und östlichen Bereichen zwischen innerer und äußerer Kammerwand gefallen war. Weitere Objekte wurden während der Baggerung 2005 vom Dach der inneren Kammer gerissen und blieben auf bereits vorher verstürztem Sediment liegen. Insgesamt kann aus dieser Fundsituation gefolgert werden, dass die Bahre nach dem Transport der Leiche zum Grab und der Bestattung in ihre Einzelteile zerlegt und auf dem Dach der inneren Grabkammer deponiert wurde. Dass in Poprad ausnahmsweise die Organik auch in höheren Fundschichten erhalten ist, hat zu diesem singulären Fund geführt. In keinem anderen Grab in der römischen Kaiserzeit oder Völkerwanderungszeit konnte eine rekonstruierbare Transportkonstruktion für die Leiche nachgewiesen werden, obwohl in der Forschung davon ausgegangen wird, dass Leichenprozessionen und damit auch die Verwendung von Totenbahren regulärer Bestandteil zumindest bestimmter Bestattungen gewesen sind. Die Quellen aus dem römischen Kontext sind dagegen deutlicher: Schriftquellen beschreiben Totenbahren im Zusammenhang mit Leichenprozessionen bei adligen Bestattungen (pompa funebris); diese werden ergänzt durch – allerdings seltene – Abbildungen auf Steinreliefs, z.B. dem Relief aus dem 1. Jh. n. Chr. aus Amiternum in Italien. Dargestellt eine überdachte Bahre, auf der sich der Tote – dargestellt als lebender Mensch – zusätzlich auf einem Totenbett liegend von Trägern transportiert wird. Die Leichenprozession wird begleitet von wohl Familienmitgliedern, Musikern und weiteren Personen. Zu Leichenprozessionen im Barbaricum der römischen Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit gibt es keine weiteren Quellen, lediglich die Reste hölzerner Transportkonstruktionen – von denen diejenige aus dem Grab von Poprad-Matejovce das weitaus am besten erhaltene und rekonstruierte Stück darstellt – zeugen von deren Existenz bei Bestattungen.