August 2021
Der Ottarshög und die königlichen Husebyer
Dr. Thorsten Lemm
In Dänemark, Schweden, Norwegen und auf den Orkney Inseln gibt es insgesamt mehr als 130 Ortschaften und Höfe mit Namen wie Husby, Huseby, Husaby, Husabø, etc., die allesamt auf ein altnordisches *Húsabýr zurückgehen. Bei der Zusammensetzung des Namens handelt es sich um den Genetiv pluralis des neutralen Wortes hus (Haus) und die für viele wikingerzeitliche Ortsnamen übliche Endung -býr im Sinne von „Dorf/Siedlung“. Dabei gibt die Pluralform husa- Anstoß zu der Vermutung, dass sich gerade die Mehrzahl der Häuser an diesen Orten wesentlich auf die Namensgebung ausgewirkt und der Ortsname eine besondere Art von Häusern bezeichnet habe – z. B. repräsentative Gebäude, Speichergebäude des Königs oder Gebäude mit vielen unterschiedlichen Funktionen.
Aufgrund verschiedener Hinweise ist davon auszugehen, dass die Husebyer im Zuge der skandinavischen Reichseinigungs- bzw. Staatsbildungsprozesse einen wichtigen Bestandteil der königlichen Machtapparate darstellten. Der bisher gängigen Interpretation zufolge sollen diese Siedlungen größtenteils auf ältere Wohnsitze von Häuptlingen oder Kleinkönigen zurückzuführen sein, die während der Konsolidierung der skandinavischen Königreiche gegen Ende der Wikingerzeit konfisziert und zu königlich-administrativen Höfen umfunktioniert wurden. Als technischer Begriff dürfte *Húsabýr zu den ursprünglichen Ortsnamen zahlreicher zentraler Siedlungen als eine Kennzeichnung ihrer neuen Funktion(en) hinzugefügt worden sein und die alten Namen der Siedlungen verdrängt haben. Als etablierter Appellativ und Ortsname kann Huseby jedoch auch zur Bezeichnung von neu angelegten Siedlungen oder Höfen verwendet worden sein.
In der Forschung wurde stets betont, dass im Umfeld der betreffenden Orte nicht selten sehr große Grabhügel, herausragende Einzelfunde oder auch besonders große Gräberfelder der jüngeren germanischen Eisenzeit und der Wikingerzeit anzutreffen sind – allesamt Anzeiger für Zentralorte lokaler Häuptlinge der jüngeren Eisenzeit. Um einen solchen Grabhügel handelt es sich bei dem sogenannten „Ottarshög“ in Husby in Vendel, Uppland – mit 37 m Durchmesser und 6 m Höhe einer der größten Grabhügel der mittelschwedischen Mälarsee-Region. Er befindet sich in prominenter Position inmitten eines Gräberfeldes, das aus etwa 90 deutlich kleineren Grabhügel besteht und allem Anschein nach vom 5. bis zum 8. Jh. genutzt wurde. Die in einem Holzeimer mit Bronzebeschlägen niedergelegte Brandbestattung, die interessanterweise männliche und weibliche Knochen enthielt, lässt sich anhand eines Knochenkammes samt Futteral, diverser Spielsteine aus Knochen, bronzener Gürtelbeschläge, einiger Fragmente eines Glasbechers und einer im Jahre 476/477 geprägten byzantinischen Goldmünze in den Zeitraum 550–600 n. Chr. datieren.
Als Resultat einer detaillierten Aufnahme aller archäologischen Fundstellen dieses Zeitraums im Umfeld aller Huseby-Orte, die in den letzten Jahren am ZBSA durchgeführt wurde, muss die gängige Interpretation jedoch ein stückweit korrigiert werden. Im Schnitt weisen lediglich ca. ein Viertel der skandinavischen Husebyer beeindruckende Denkmale und/oder herausragende Funde am Ort selbst auf, die diese Orte als alte Zentralplätze ausweisen. Bei etwas weniger als einem Viertel der Husebyer handelt es sich um Siedlungen, die sich in der Nachbarschaft von Höfen befinden, die ihrerseits durch herausragende Funde oder beeindruckende Denkmale als ältere Zentralplätze ausgewiesen werden. Bei ungefähr der Hälfte aller Husebyer ist demnach darauf zu schließen, dass die Königsmacht im 11. und 12. Jh. bei der Verwaltung des Reiches bewusst eine Anknüpfung an ältere Machtstrukturen suchte.
Die andere Hälfte der betreffenden Höfe und Siedlungen liefert hingegen keinerlei Hinweise auf einen älteren Zentralplatz, weder am Ort selbst, noch in der Nachbarschaft oder innerhalb der zugehörigen Siedlungskammer. In diesen Fällen dürften auf Bestreben des Königtums neue Machtstrukturen in der Landschaft etabliert worden sein. Dieses empirische Ergebnis wirft ein neues Licht auf das bisherige von der Forschung skizzierte Bild der Husebyer, denn neben der Etablierung solcher Orte als Nachfolger von oder in der Nachbarschaft zu alten Zentralhöfen sind zum überwiegenden Teil Neugründungen – vermutlich des 11. Jh. – in zuvor häufig unbedeutenden Kleinregionen zu verzeichnen.