Geschichte der Archäozoologie in Schleswig
Die wissenschaftliche Analyse von Tierresten aus archäologischen Zusammenhängen hat an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und damit eng verbunden am Archäologischen Landesmuseum und am ZBSA in Schleswig eine lange Tradition. Aus der in den 1960er Jahren gemeinsam gegründeten Archäologisch-Zoologischen Arbeitsgruppe (AZA) sind bis heute mehr als 300 Publikationen hervorgegangen, und viele Dutzend Studierende der Fächer Zoologie oder Ur- und Frühgeschichte verfertigten im Rahmen dieser Kooperation hier im Laufe der Jahre ihre Examensarbeiten.
Gegründet wurde die Archäologisch-Zoologische Arbeitsgruppe im Jahre 1967 von Mitarbeitern des Instituts für Haustierkunde in Kiel und des Archäologischen Landesmuseums in Schleswig als eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seither wird sie von beiden Einrichtungen gemeinsam getragen. Zoologische Untersuchungen an Tierknochen hatten im Kieler Institut bereits eine längere Tradition. Zunächst lag dabei der Schwerpunkt auf anatomisch-morphologischen Studien mit dem Ziel, Einblicke in den historischen Wandel von den Wildtierarten zu den Haustierformen zu erhalten und auf diese Weise Abstammungsfragen zu klären. Auch untersuchte man Aspekte der regionalen Faunengeschichte. Während der 1960er Jahre wuchs das Bewusstsein, dass Tierknochenreste darüber hinaus auch Antworten auf archäologische Fragestellungen bieten, nämlich insbesondere zur Klärung wirtschafts- und ernährungsgeschichtlicher Zusammenhänge beitragen können. Dies reicht von den Haltungs- und Zuchtzielen bei Haustieren über Hinweise zum Schlachtalter und den Handel mit Schlachtvieh bis zur Nutzung von Knochen, Geweih und Horn als Rohstoffe für die Geräteherstellung.
Als im Jahre 1966 neue umfangreiche Ausgrabungen in Haithabu aufgenommen wurden, war der Bearbeitung der Tierknochen als wichtiger zoologischer und archäologischer Quellengruppe von vornherein eine besondere Bedeutung zugedacht. In gemeinsamen Überlegungen von Prof. Dr. Dr. h. c. Wolf Herre, dem ehemaligen Direktor des Kieler Instituts, und dem damaligen Leiter der archäologischen Ausgrabungen, Prof. Dr. Kurt Schietzel, reifte der Plan, die archäozoologische Arbeit als interdisziplinäre Aufgabe nach Schleswig zu verlagern. Hier standen auf dem Gelände des Schleswig-Holsteinischen Landesmuseums in Schloss Gottorf bedeutende Räumlichkeiten zur Verfügung, wie sie zur Bearbeitung umfangreichen Fundmaterials erforderlich sind. Das Institut für Haustierkunde brachte in die neugegründete AZA die für die Bestimmung subfossiler Tierknochenreste unerlässliche osteologische Vergleichssammlung rezenter Skelette ein. Mit der Einrichtung der AZA war über die Analyse der Funde von Haithabu hinaus die Grundlage für die wissenschaftliche Auswertung auch weiteren archäozoologischen Fundmaterials gelegt als früher.
In den ersten Jahrzehnten stand die Untersuchung der in Haithabu gefundenen Tierknochen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Später bildeten Funde aus den Altstadtgrabungen von Schleswig und Lübeck, sowie der slawischen Burganlage Starigard (Oldenburg), ferner der frühmittelalterlichen Warft Elisenhof auf Eiderstedt, aber auch die Analyse steinzeitlichen Knochenmaterials aus Schleswig-Holstein Arbeitsschwerpunkte. 2008 gelang es Prof. Dr. Claus von Carnap-Bornheim, die AZA als Laboratorium der Abteilung „Archäozoologie und Geschichte der Fauna“ als einen festen Bestandteil des Zentrums für Baltische und Skandinavische Archäologie zu etablieren. Heute ist die Ausrichtung der Forschung nicht zuletzt aufgrund dieser Einbindung in das ZBSA wesentlich internationaler angelegt.
Neben der wissenschaftlichen Tätigkeit dient die AZA seit jeher auch dazu, Studierende in die spezifischen Fragestellungen, Probleme und Methoden archäozoolgischer Arbeit einzuweisen. Dies geschieht zum Beispiel über Lehrveranstaltungen an der Universität Kiel und Praktika in den Schleswiger Laborräumen.
Der heutige wissenschaftlicher Leiter der AZA, Dr. Ulrich Schmölcke, steht in der Nachfolge von Dr. Hans Reichstein (1967–1995) und Prof. Dr. Dirk Heinrich (1974–2008), die beide über viele Jahre in der AZA wirkten. Sie konnten und können auf den Einsatz der fachkundígen Mitarbeiter Rolf Rohde (1967–1978), Hans-Jörg Frisch (1971–1997), Wolfgang Lage (1998-2013) und in Kiel Renate Lücht (seit 1976) bauen, ohne die viele ihrer wissenschaftlichen Studien und die Betreuung der zahlreichen Examenskandidaten nicht in dieser Güte möglich gewesen wäre.