Juni 2020
Haithabu, Ausgrabung Flachgräberfeld 2017. Kugelkopfnadel
Docent Dr. Sven Kalmring
Die Ausgrabungen im Flachgräberfeld von Haithabu im Jahre 2017 waren neben einer durch Bioturbation (Durchwühlung von Böden durch Lebewesen) verursachten, stark beeinträchtigten Befundlage durch ein außergewöhnlich reiches Fundspektrum gekennzeichnet. Die Toten auf dem Gräberfeld waren in Ost-West orientierten Sarggräbern bestattet, die auf einen frühchristlichen Kontext hindeuten. Echte Grabbeigaben traten in diesem Milieu nur noch vereinzelt auf, so dass die meisten der Funde als persönliche Ausstattung der Toten zu werten sind. Zu den herausragenden Funden zählen ein Kollier mit in Gold gefassten Halbedelsteinen und Goldperlen, Scheibenfibeln in Gold und Silber sowie Goldposamentreste von zum Teil prächtiger Verzierung der Kleidung. Aufgrund der vorherrschenden Bioturbation fanden sich die wenigsten der Funde in situ (in originaler Lage), so dass ihre Zuordnung zu bestimmten Bestattungen nur in Einzelfällen möglich ist.
Um ein weiteres, ebenfalls herausragendes Exemplar von persönlicher Ausstattung handelt es sich bei der Kugelkopfnadel aus vergoldetem Silber (Inv.-Nr. SH2017.32-1936) (Abb. 1).
Auch sie fand sich nicht in einem unmittelbaren Grabkontext, sondern wurde auf der Sohle einer circa 1,1 x 1,2 Meter großen, quadratischen Grube (Befund 11) gefunden, welche vermutlich auf die ersten archäologischen Sondagen unter Wilhelm Splieth und Friedrich Knorr zu Beginn des vorigen Jahrhunderts in Haithabu zurückzuführen ist. Eine ebenfalls übersehene, kleine filigranverzierte goldene Scheibenfibel mit Kreuzknotenmotiv (Inv.-Nr. SH2017-32.2000) aus demselben Befund zeugt von den noch wenig behutsamen Anfängen der Archäologie. Die silberne Kugelkopfnadel von 11 cm Länge, deren Spitze abgebrochen war, zeigte bei seiner Auffindung im Bereich des Kugelkopfes eine intensive, grüne Korrosion, die auf einen hohen Bronzeanteil in demselben schließen ließ (Abb. 2).
Erst nach seiner anschließenden Konservierung in der Archäologischen Zentralwerkstatt des Museums für Archäologie auf Schloss Gottorf zeigte sich, dass der silberne Kugelkopf im Borrestil verziert und anschließend vergoldet worden war. Der hohlgetriebene, frei bewegliche Kugelkopf ist auf einer viereckig ausgearbeiteten Verdickung im oberen Drittel der Nadel montiert. Oben gesichert wurde der Kugelkopf durch eine bandförmig ausgeführte und relieffierte Öse als Nadelabschluss. Starke Abnutzungsspuren der Zierkugel belegen, dass die Nadel als Gewandschließe zu Lebzeiten ihrer Besitzerin intensiv getragen wurde.
Zu der Kugelkopfnadel der Ausgrabung 2017 auf dem Flachgräberfeld finden sich zwei unmittelbare Parallelen aus dem näheren Schleigebiet. Bereits im Jahre 1939 wurde bei der unvollendeten Ausgrabung des finnischen Archäologen Helmer Samlo im Bereich des Flachgräberfeldes von Haithabu, deren Abschluss eines der erklärten Ziele der Neugrabung von 2017 war, eine silberne Kugelkopfnadel geborgen (Abb. 3).
Bei dem 11,9 cm großen Objekt handelt es sich um einen Streufund ohne näheren Kontext. Der Kugelkopf dieser Nadel war nicht im Tierstil gestaltet, sondern filigranverziert mit einem Motiv aus zweireihig versetzten, liegenden S-Spiralen, welche durch eine Doppellinie voneinander getrennten waren. Das obere Nadeldrittel ist oktogonal gestaltet und mit Punzen versehen; an seinem unteren Abschluss befindet sich ein Zierknopf in Form eines Kubooktaeders. Die zweite Kugelkopfnadel stammt aus Kammergrab 21 vom Kammergräberfeld Thumby Bienebek an der Mittleren Schlei (Abb. 4).
Unter den Beigaben der Grabinhaberin – diverse Textilien, eine Perlenkette mit 15 Perlen, einem punzierten Kreuzanhänger sowie einem kerbschnittverzierten Beschlag mit Pflanzenornamentik, eine mit Ziernieten beschlagene Holztruhe mit Schlüssel sowie ein Messer – fand sich mittig an der südlichen Längswand des Wagenkastens (entsprechend einer Fundlage an der rechten Schulter- oder Brustseite) die silberne Kugelkopfnadel. Diese war aus zwei Sphären gearbeitet mit einem Muster aus sechs aufgelöteten, filigranen „brezelförmigen“ Doppelspiralen verziert. An der Öse oberhalb des Kugelkopfes befindet sich ein dünner Ring; die Länge der Nadel (mit Ring) beträgt 15,5 cm. Eine dritte Kugelkopfnadel, allerdings ohne ihren charakteristischen Kugelkopf, welcher bei der Grabung im Jahre 1911 nicht aufgefunden wurde, stammt aus Sarggrab 239 von Haithabu (Abb. 5).
Der leicht verdickte Sockel, auf dem der verlorene Kugelkopf einst ruhte, ist profiliert; die Nadel ist auf einer Länge von 10 cm erhalten und wies Spuren von Vergoldung auf. Das Sarggrab befindet sich ebenfalls auf dem Flachgräberfeld, lediglich circa 12.3 Meter südöstlich vom Fundort der Kugelkopfnadel der Ausgrabung 2017 entfernt. Die silberne Gewandnadel aus Grab 239 wurde im Bereich der linken Schulter der Toten angetroffen und kann somit ebenfalls näheren Aufschluss über deren Trageweise geben.
Über einen weit aufwendiger verzierten Fund einer Kugelkopfnadel aus Birka (Kammergrab Bj. 832, terminus post quem 907–913 n.Chr.) wird diese Fundgattung chronologisch in die Zeit von der Mitte des 9. bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts gesetzt. Übereinstimmend wird Kammergrab 21 aus Thumby-Bienebek in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts datiert. Vergleichsfunde aus dem emporien von Dorestad und Domburg in den heutigen Niederlanden weisen auf eine Provenienz aus dem friesischem Nordseegebiet, wenngleich auch insulare Einflüsse von den Britischen Inseln diskutiert wurden. Wie der tierstilverzierte Fund der Kugelkopfnadel aus der Ausgrabung Haithabu Flachgräberfeld 2017 deutlich illustriert, wurden diese Vorbilder später in skandinavischen Werkstätten kopiert.
Literaturhinweise
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Müller-Wille 1987: M. Müller-Wille, Das wikingerzeitliche Gräberfeld von Thumby-Bienebek (Kr. Rendsburg-Eckernförde) II. Offa-Bücher 62 (Neumünster 1987).
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