Resilience and Reorganisation of Social Systems during the Weichselian Lateglacial in North-West Europe. An Evaluation of the Archaeological, Climatic, and Environmental Record
Autoren: Sonja B. Grimm
Im 128. Band der Reihe »Monographien des Römisch-Germanischen Zentralmuseums« wird die 2014 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz verteidigte Dissertation von Sonja B. Grimm publiziert. Sie forschte 2010/2011 als Gast am ZBSA und PD Dr. Berit V. Eriksen (ZBSA) war Mitglied ihres Gutachterausschusses.
Die Arbeit beschäftigt sich mit sozialen Regelwerken in Nordwesteuropa am Ende der letzten Eiszeit und ihren Veränderungen unter Beachtung des Einflusses von Klima- und Umweltveränderungen. Diese werden mit einer Vielzahl von Methoden untersucht, insbesondere um einen verlässlichen zeitlichen Rahmen zu schaffen, der einen Vergleich der drei verschiedenen Teilbereiche der Studie (Klima-, Umwelt- und archäologische Daten) ermöglicht. Gerade die Klimaarchive liefern neben den Proxies für die klimatischen Bedingungen oft auch wichtige Chronologien (z. B. grönländische Eiskerne, europäische Baumringkurven). In diesen zeitlichen Rahmen wurden die lokalen Umweltdaten wie Pollenprofile oder radiokarbondatierte Tierknochen eingehangen. Schließlich wurden darin 32 späteiszeitliche Inventare von 21 Fundstellen aus dem Pariser Becken, dem Sommetal, Südbelgien und vom Mittelrhein integriert und miteinander verglichen sowie in Bezug zu Klima und Umwelt gesetzt. Daraus ergab sich folgendes Bild:
Am Ende des Eiszeitalters stellte das späte Magdalénien ein pan-europäisches Netz menschlicher Gemeinschaften dar, die einem restriktiven Verhaltenskodex folgten, um instabile Klima- und Umweltverhältnisse zu kompensieren. Diese Lebensweise passte sich schrittweise der zunehmend größeren Verfügbarkeit von Ressourcen an. Mit dem Aufkommen verbesserter Umweltbedingungen bereiteten sich Wildbeuter nicht mehr auf unsichere Zeiten vor. Dies zog ein Vergessen wichtiger Überlebensstrategien nach sich, was zu tiefgreifenden Problemen führte, als instabiles Klima zurückkehrte, welches mangelnde Vorbereitung fatal bestrafte. Die reduzierten Überlebenschancen bildeten den Auslöser für den Zusammenbruch des Magdalénien-Systems während dessen anscheinend auch altmodische Traditionen wiederbelebt wurden. Mit der Ausbreitung von lichten Wäldern formierten sich neue Allianzen, die sich auf gesellschaftliche Maßstäbe in ihrem Verhalten basierend auf der Grundlage früherer Anpassungen einigten. Diese Normen schienen sich zwischen regionalen Gruppen zu bilden, die sich eher auf individuelle Fähigkeiten als auf ein pan-europäisches Sicherheitsnetzwerk verließen.
Im archäologischen Befund kam es regelmäßig zu Variationen im Verhalten sowohl Einzelner als auch kleiner Gruppen. Betrachtet man das Verhalten größerer sozialer Einheiten, kam Variabilität seltener vor und manchmal gab es über Jahrtausende keine Veränderung. Obwohl der Wandel in den untersuchten Regelwerken daher graduell erscheint, konnte in einem Zeitraum von etwa 250 Jahren eine Anhäufung von Verhaltensänderungen beobachtet werden, die mehrere Teilaspekte betrafen. Nach dieser kurzen Periode wurde das gesamte menschliche Verhalten wieder stabiler. Diese Beobachtungen legen nahe, dass die Resilienz des späteiszeitlichen sozialen Regelwerks zum einen durch seine konstante Anpassungsfähigkeit das Tempo und die Art großer Systemänderungen verlangsamte, zum anderen aber durch diese ständigen Anpassungen, einschließlich der Gleichmütigkeit gegenüber sichernden Überlebensstrategien, zu einem gesellschaftlichen Auseinanderdriften und letztlich dem profunden Umbruch beitrugen.
Verlag des Römisch-Germanischen Zentralmuseums
Mainz 2019
ISBN 978-3-88467-255-6
662 Seiten