Vergleichende Studien zu frühmittelalterlichen Hafenanlagen

Dr. Sven Kalmring

Die Hafenanlagen von Dorestad (NL) und Birka (S)

Dorestad
Der spätmerowingerzeitlichen und karolingischen Handelsplatz Dorestad (Mitte 7. bis Mitte 9. Jh.) in der Gabelung von Krummen Rhein und Lek in den Niederlanden fungierte als eine Art Drehscheibe des fränkischen Handels, der sich von hier aus über das gesamte Rhein- und Maasgebiet, England, Nordeuropa bis in den Ostseeraum erstreckte.

Bei den Ausgrabungen zwischen 1967 bis 1977, die sich auf einen zusammenhängenden Teil des eigentlichen Wohnareals mit dem nördlichen Bereich der Siedlung und dem dazugehörigen Gräberfeld de Heul konzentrierten, wurde ebenfalls das linke ehemalige Ufer des Krummen Rheins untersucht. Hier, rechts der Hoogstraat, einem alten Feldweg auf einem Uferwall des Rheins, ergrub man regelrechte Pfostenreihen, die zu mehrphasigen dammartigen Holz-Erde-Konstruktionen gehörten und zu Schiffländen geführt haben.

Bei der Lage des Hafengebietes von Dorestad an der Hoogstraat scheint es sich anfangs um einen besonders günstigen Abschnitt des Rheinufers gehandelt zu haben, da es sich an einer Innenschleife des Flusses befand und das Ufer somit keinen Erosionsprozessen ausgesetzt war. Das Ufer verfügte hier über eine flache Böschung mit einem Sandstrand, auf den die Schiffe auflanden konnten. Allmählich begann der Fluss jedoch zu mäandrieren und sein Bett kontinuierlich nach Osten zu verlagern, so dass in der Biegung der Flusskurve ein feuchtes und niedriges Neuland entstand.

Um den für die Siedlung lebenswichtigen Anschluss zum Ufer und zu den Schiffsländen aufrecht zu erhalten, wurden unter großen Anstrengungen und Holzverbrauch Dämme errichtet. Dabei bildeten die tief in den Boden getriebenen angespitzten Pfähle in Verbindung mit Flechtwerk eine Umfassung, die mit Erde aufgefüllt wurde. Das hierzu benötigte Erdmaterial stammt aus den Gräben, die jeweils zwischen kleineren Gruppen von Dämmen beobachtet werden konnten.

Der Ausbau der Holz-Erde-Konstruktionen vollzog sich mit der Verlagerung des Rheinufers nur schrittweise in zahlreichen aufeinander folgenden Bauphasen, die zumeist der Verlängerung der Anlagen dienten. Der Ausbau des Gesamtkomplexes der Dämme hat sich über einen Zeitraum von etwa anderthalb Jahrhunderten erstreckt. Im frühen 9. Jahrhundert endeten die Ausbauten an den Konstruktionen. Zu diesem Zeitpunkt verfügten sie über eine Gesamtlänge von ca. 200 m.

Nach der Neuinterpretation durch die Ausgräber W.A. van Es und W.J.H. Verwers haben die umfangreichen Arbeiten im trockengefallenen Areal des Flussbettes in erster Linie jedoch nicht etwa der weiteren Nutzung des Geländes als Hafen gedient, sondern es habe sich dabei vielmehr um Landgewinnungsmaßnahmen für Siedlungszwecke gehandelt. Pfostenroste innerhalb der Dämme, die zuvor als Hinweis auf Bretterpflasterungen gewertet wurden, werden nun als Roste von Bauten mit speicherähnlichem Aussehen interpretiert. Vor dem Hintergrund der Ausgrabungen in Schleswig soll die Neuinterpretation des ansonsten gut publizierten Befundes im Rahmen eines Aufsatzes kritisch überprüft werden.

Die Ergebnisse der Studie wurden auf der Konferenz „Dorestad in an International Framework” 2009 in Leiden, und auf dem 29. Tværfaglige Vikingesymposium 2010 im Wikinger Museum Haithabu vorgestellt. Zudem wurden die Resultate in den folgenden Artikeln vorgelegt:

S. Kalmring, Dorestad Hoogstraat from a Hedeby/Schleswig point of view. In:

  • A. Willemsen (ed.), Dorestad in an international Framework. New Research on Centres of Trade and Coinage in Carolingian Times [Symposium Leiden 2009] (Turnhout 2010) 68-81.
  • S. Kalmring, Dorestad Hoogstraat. Ein Diskurs gegen das Verschwinden des Hafens des „vicus famosus“. 29. Tværfaglige Vikingesymposium Schleswig (Højbjerg 2012) 22-49.

Birka
Der wikingerzeitliche Handelsplatz Birka (8. bis letztes Viertel 10. Jh.) befindet sich auf der Insel Björkö im Mälarsee, etwa 30 km westlich von Stockholm. Anders als heute war des Mälarseegebiet zur Wikingerzeit eine noch ausgedehnte Ostseebucht, die erst im 10. Jahrhundert durch die postglaziale Landhebung allmählich von der Ostsee getrennt wurde. Gelegen am Knotenpunkt der zwei wichtigsten Segelrouten in Zentralschweden befand sich die frühe Stadt in einer für den Fernhandel strategisch äußerst günstigen Lage.

Zum einen kreuzte hier eine Ost-West gerichtet Verkehrsachse, die vom Landesinneren in Richtung Ostsee verlief. Birka bildete auf dieser Route einen wichtigen Umlande- und Stapelplatz von Handelswaren wie Eisen oder Holz, die auf dem Landwege im Winter per Schlitten aus Zentralschweden hierher transportiert wurden und dann im Sommerhalbjahr weiter verschifft werden sollten. Die zweite Verkehrsachse war der sogenannte Fyrsleden. Dieser führte von der Ostsee im Süden über den Sund bei Södertälje in den Mälarsee und über Birka weiter in Richtung Sigtuna, Gamla Uppsala und Vendel im Norden des Mälartals.

Bei der von B. Ambrosiani und B. Arrhenius in den Jahren 1969–1971 durchgeführten Ausgrabung im heute durch die anhaltende Regression und dramatisch sinkende Wasserstände heute landfesten Hafengebiet von Birka eine Landebrücke dokumentiert. Ziel der Ausgrabung im Bereich der svarta jorden war die Bestimmung der wikingerzeitlichen Uferlinie und die Untersuchung des möglichen Hafenareals. Eine der beiden Steinpflaster wurde ergraben und stellte sich als landwärtige zweilagige Fundamentierung einer Landebrücke heraus. Es war im feuchten Uferbereich sowie im Bereich einer Sandbank, die sich um eine Uferbefestigung aus Rundhölzern gebildet hatte, errichtet worden und diente vermutlich der Verstärkung einer hölzernen Landebrücke. Über das aus der Grabung stammende stratifizierte Fundmaterial wird die dokumentierte Schichtenfolge von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis in die Schlussphase Birkas um 970 datiert; die Landebrücke („späteste Landebrücke“) selbst wird in die Zeit 930–950 eingeordnet.

Unter der Landebrücke aus dem 10. Jahrhundert fanden sich Hinweise auf eine ältere, ebenso konstruierte Landebrücke, die in eine Schicht des 9. Jahrhunderts eingebettet war („untere Landebrücke“). In der 1990–1995 oberhalb der Fläche von 1969–1971 durchgeführten Grabung ragte aus der östlichen Profilwand der Grabungsfläche des Jahres 1990 eine Lage von bis zu 0,8 m mächtigen Steinen, die als die Stirnseite einer weiteren Landebrücke interpretiert wurde („früheste Landebrücke“). Sie befand sich in einer Höhe von etwa 6,10 m–6,30 über dem Meeresspiegel.

Als weitere Hafenbecken stehen in der Diskussion Kugghamn, Korshamn und Salviksgropen. Weitere, bislang noch ununtersuchte Steinfundamente zweier Landebrücken befinden sich abseits des Handelshafens unterhalb der Garnison. Im Süden der Insel Björkö wird bei Charlottenlund ein Bootshaus vom Typ naust vermutet. Seit 1970 werden im Bereich vor der svarta jorden zudem in regelmäßigen Abständen Tauchaktionen durchgeführt, die dazu dienen den unter Wasser verliebenden Teil des Hafenbeckens zu erforschen. Verschiedene Bohrkerne aus den im Jahre 1990/91 durchgeführten Kernbohrungen geben zudem Aufschluss über den Aufbau des Hafenbeckens; eine 2007 an Land durchgeführte, bislang unpublizierte geomagnetische Prospektion birgt weiter wichtige Hinweise.

Im Rahmen einer umfassenden Studie sollen in enger Kooperation mit den schwedischen Kollegen erstmals sämtliche den Hafen betreffende Informationen aus Ausgrabungen, Tauchaktionen und geophysikalischer Prospektionen zusammengeführt und vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus Haithabu beleuchtet werden.

 
Themenbereiche

Mensch und Gesellschaft

 
 
Forschungsschwerpunkte

Mitarbeiter

Leitung:
Docent Dr. Sven Kalmring

 
 
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