Forschungskontinuität und Kontinuitätsforschung (FKKF) – Siedlungsarchäologische Grundlagenforschung zur Eisenzeit im Baltikum
Dr. Timo Ibsen, Dr. Dr. Jaroslaw Prassolow, Hans Whitefield M.A.
Das ehemalige Ostpreußen, heute als Kaliningrader Oblast einerseits zur Russischen Föderation, andererseits in seinem südlichen Teil zu Polen gehörig, ist in archäologischer Hinsicht zusammen mit seinen baltischen Nachbargebieten eine einzigartige Forschungsregion. Aufgrund des natürlichen Bernsteinreichtums und der verkehrsgünstigen Lage zwischen den verschiedenen geographischen Großräumen Europas waren die Landschaften an der südöstlichen Ostseeküste stets in Handelsaktivitäten und Migrationsprozesse einbezogen und nahmen von allen Seiten kulturelle Einflüsse auf. Insbesondere das erste nachchristliche Jahrtausend zeichnet sich durch eine außerordentliche Fundplatzdichte aus, die Ausdruck einer ungewöhnlichen Siedlungskontinuität ist und im gesamten Ostseeraum kaum Parallelen findet.
Die lange und fruchtbare Forschungskontinuität der vorkriegszeitlichen Archäologie in den ehemaligen ost- und westpreußischen Regionen und den ihnen nördlich benachbarten Territorien der baltischen Staaten brach mit den politischen und territorialen Umstrukturierungen nach Ende des Zweiten Weltkrieges fast völlig ab. Wichtigster Grund dafür ist der kriegsbedingte Verlust der zahlreichen musealen Sammlungen archäologischer Funde und besonders der zugehörigen, originalen Ausgrabungsdokumentationen. Weder die bis dato publizierte Literatur noch die nachkriegszeitliche Forschung in Polen, Litauen, Lettland und insbesondere im russischen Kaliningrader Gebiet konnte diesen Bruch in der Forschungskontinuität ausgleichen. Darüber hinaus unterlag die jeweilige wissenschaftliche Interpretation des archäologischen Quellenmaterials regional- und zeitspezifisch bestimmten politischen Sichtweisen, welche die Gesamtbetrachtung der siedlungsarchäologischen Prozesse stark beeinträchtigten.
Erst durch die Wiederentdeckung großer Teile der sog. Königsberger Prussia-Sammlung mit den zugehörigen archäologischen Funden und vor allem den deutschsprachigen originalen Ausgrabungsdokumentationen steht seit den 1990er Jahren ein unschätzbares, bislang unerschlossenes Datenarchiv wieder zur Verfügung und erlaubt, nun in internationaler Zusammenarbeit und unter Einbeziehung neuer Forschungsergebnisse, die Rekonstruktion einer in archäologischer Hinsicht außergewöhnlichen Landschaft. Gleichzeitig besteht durch den heute standardmäßigen Einsatz von neuen Technologien in der Archäologie (GIS-gestützte Raum-Strukturanalysen, geophysikalische Großprospektionen oder naturwissenschaftliche Analyseverfahren) auf der einen Seite und die Möglichkeit zu internationalen Feldforschungsaktivitäten auf der anderen Seite erstmals eine tragfähige Ausgangsbasis für umfassende siedlungsarchäologische Forschungen. Insbesondere die in den angestrebten Arbeitsgebieten zahlreich vorhandenen Burgwälle des Zeitraumes von 500 vor bis 1250 nach Christus sind leicht lokalisierbare Ansatzpunkte für Untersuchungen zur Siedlungsdynamik in einem höchst interessanten europäischen Kulturraum. Sie müssen als Drehscheiben der Sozial- und Siedlungsstruktur im Laufe des ersten nachchristlichen Jahrtausends letztlich zur Herausbildung von lokalen und überregionalen Zentren gedient haben und waren Schmelztiegel der kulturellen Einflüsse aus Nord und Süd sowie Ost und West, auf deren Basis sich die Grundsteine der späteren herrschaftlichen Systeme entwickelten.
Das Projekt knüpft durch die digitale Konservierung und Erschließung der reichen Archivalien- und Realienbestände aus deutscher Zeit einerseits an die unterbrochene Forschungskontinuität der Archäologie der Vorkriegszeit an und verbindet diese mit der nachkriegszeitlichen Quellenbasis. Andererseits widmet sich das Projekt auf dieser Grundlage der Erforschung der Siedlungsdynamik im Baltikum anhand ausgewählter, beispielhafter Siedlungskammern unter Einsatz interdisziplinärer Methoden. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, welche Faktoren zur Herausbildung zeit- und raumkonstanter Siedlungskammern führten. Darüber hinaus bündelt das Projekt bestehende archäologische Forschungstraditionen und vernetzt ost- und westeuropäische Wissenschaftskulturen. Durch forschungstheoretische Begleituntersuchungen werden gleichzeitig bisherige und zukünftige Interpretationsmodelle kritisch und selbstreflexiv hinterfragt und aufgearbeitet.
Projektleitung
Prof. Dr. Dr. h.c. C. von Carnap-Bornheim (Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf, Schleswig) Prof. M. Wemhoff (Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (MVF Berlin)
Verwaltung
Dr. Heino Neumaier (MVF Berlin)
Doris Rohwäder (ZBSA Schleswig)
MitarbeiterInnen
Dr. Heidemarie Eilbracht (MVF Berlin)
Dr. Timo Ibsen (ZBSA Schleswig)
Dr. Dr. Jaroslaw Prassolow (ZBSA Schleswig)
Sebastian Kriesch M.A. (MVF Berlin)
aktuelle DoktorandInnen/StipendiatInnen
Cecilia Hergheligiu (MVF Berlin)
Hans Whitefield (ZBSA Schleswig)
ehemalige DoktorandInnen
Agata Chilińska-Früboes (ZBSA Schleswig)
Annika Sirkin (ZBSA Schleswig)
Izabella Szter (MVF Berlin)
Weitere Informationen zu diesem Projekt im Internet
Homepage der Prussia-Sammlung in Berlin
Themenbereiche
Mensch und Gesellschaft
Forschungsschwerpunkte
Das ehemalige Ostpreußen im Netzwerk baltischer Archäologie
Mitarbeiter
Leitung:
Prof. Dr. Dr. h.c. Claus von Carnap-Bornheim
Mitarbeiter:
Dr. Timo Ibsen
Dr. rer. nat. Dr. phil. Jaroslaw Aleksei Prassolow
In Kooperation mit
Museum für Vor- und Frühgeschichte, SMB-PK, Berlin
Prof. Dr. M. Wemhoff
Dr. H. Eilbracht