Technologie im Wandel – Jäger und Sammler am Ende der letzten Eiszeit

Tobias Reuter M. Sc.

Am Ende der letzten Eiszeit kam es im Zuge der klimatischen Schwankungen zu starken Umweltveränderungen und dem Rückzug von Gletschern (Abb. 1), was es dem Menschen ermöglichte, Nordeuropa in Teilen wieder zu besiedeln. Ab ca. 12.600 v. Chr. etablierte sich eine baumlose Steppen-Landschaft, in der Jäger und Sammler vor allem Rentier bejagten. Nachweise über die Anwesenheit der Menschen liegen uns überwiegend in Form von Steinartefakten vor, die von ihnen zu unterschiedlichen Zwecken hergestellt wurden. Die Hinterlassenschaften der Pionierbesiedlung in Norddeutschland werden heute unter dem Technokomplex der Hamburger Kultur und deren Spätphase, der Havelte-Gruppe, zusammengefasst. Mit der anfänglichen Entstehung von Wäldern und dem Auftreten neuer Tierarten in der Allerød-Warmphase ca. 600 Jahre später verschwand dieser Technokomplex jedoch wieder und eine neue materielle Kultur trat auf: die Federmesser-Gruppen.

Abb. 1: Nordeuropa am Ende der letzten Eiszeit (Allerød-Interstadial - 11950-10750 cal. BC) (Karte: epha.zbsa.eu, CC-BY 4.0)
Abb. 1: Nordeuropa am Ende der letzten Eiszeit (Allerød-Interstadial – 11.950-10.750 cal. BC)
(Karte: epha.zbsa.eu, CC-BY 4.0)

Warum die unterschiedlichen archäologischen Gruppen in dieser abwechselnd von Warm- und Kaltphasen geprägten Periode auftraten, ist immer wieder Gegenstand der Forschung (Schwabedissen 1954, Fischer 1991, Madsen 1996) und gegenwärtig immer noch ungeklärt (Petersen 2009, Riede et al. 2010). Handelt es sich es dabei beispielsweise um Menschengruppen, die sich an die verändernden Umweltverhältnisse jeweils sukzessive anpassten oder sind neue Gruppen mit anderen kulturellen Merkmalen in den Norden migriert? Warum wurden bestimmte Herstellungsweisen der Steingeräte aufgegeben und neue adaptiert und wie steht diese Entwicklung in Zusammenhang mit den sich wandelnden Umweltbedingungen? Das Dissertationsprojekt behandelt solche und weitere Fragestellungen unter der Berücksichtigung von Steinartefaktinventaren spätglazialer Fundplätze der Hamburger Kultur und der Federmesser-Gruppen. Des Weiteren werden zur Beantwortung der Forschungsfragen neueste Erkenntnisse über die sich wandelnden Umweltbedingungen herangezogen.

Abb. 2: Zusammensetzungen von Steinartefakten wie dieser Komplex aus dem Inventar vom Fundplatz Alt Duvenstedt LA 120 erlauben es, die Herstellungstechniken präzise nachzuvollziehen (Foto: SSHLM/Fotowerkstatt).
Abb. 2: Zusammensetzungen von Steinartefakten wie dieser Komplex aus dem Inventar vom Fundplatz Alt Duvenstedt LA 120 erlauben es, die Herstellungstechniken präzise nachzuvollziehen (Foto: SSHLM/Fotowerkstatt).

Im Fokus der Studie stehen technologische Untersuchungen zur Steinartefaktproduktion der Jäger und Sammler. Dabei wird die Methode der chaîne opératoire angewendet (vgl. Soressi & Geneste 2011), bei welcher alle Arbeitsschritte in der Artefaktherstellung berücksichtigt werden: von der Rohmaterialbeschaffung über die Werkzeugherstellung bis hin zur Aufgabe der Geräte. Durch diese Herangehensweise ist es möglich, Strategien und Konzepte der Herstellung von Steinartefakten offenzulegen und somit einen tieferen Einblick in die Lebenswelt der Jäger und Sammler zu erhalten. Dementsprechend wird erwartet, dass durch die Anwendung von technologischen Studien in Verbindung mit neuen Daten und Erkenntnissen zur Umweltentwicklung ein besseres Verständnis von Anpassungen und Verhaltensänderungen des Menschen erlangt wird.

Bibliografie

– Fischer 1991: Fischer, A., Pioneers in deglaciated landscapes – the expansion and adaptation of Late Palaeolithic societies in Southern Scandinavia. In: Barton, N., Roberts, A. J., Roe, D. A. (Hrsg.), The Late Glacial in north-west Europe. Human adaptation and environmental change at the end of the Pleistocene. Council for British Archaeology Research Report 77 (Oxford 1991), S. 100–121.

– Madsen 1996: Madsen, B., Late Palaeolithic cultures of south Scandinavia: tools, traditions and technology. In: Acta archaeologica Lundensia 8 (1996), S. 6172.

– Petersen 2009: Petersen, E. B., The human settlement of southern Scandinavia 12500–8700 cal. BC. In: Street, M., Barton, N., Terberger, T. (Hrsg.), Humans, Environment and Chronology of the Late Glacial of the North European Plain, Römisch-Germanisches Zentralmuseum (Mainz 2009), S. 89-12.

– Riede et al. 2010: Riede, F., Grimm, S., Weber, M. J., Fahlke, J. M., Neue Daten für alte Grabungen – Ein Beitrag zur spätglazialen Archäologie und Faunengeschichte Norddeutschlands. In: Archäologisches Korrespondenzblatt 40 (2010), 297–316.

– Schwabedissen 1954: Schwabedissen, H., Die Federmesser-Gruppen des nordwesteuropäischen Flachlandes. Zur Ausbreitung des Spät-Magdalénien. Offa-Bücher 9 (Neumünster 1954).

– Soressi & Geneste 2011: Soressi, M., Geneste, J.-M., The history and efficacy of the chaîne opératoire approach to lithic analysis: studying techniques to reveal past societies in an evolutionary perspective. In: PaleoAnthropology (2011), S. 334–350.

 
Themenbereiche

Mensch und Artefakt

 
 
Forschungsschwerpunkte

Technologie – Tradition und Innovation, Wildbeuter in ihrer Umwelt

Mitarbeiter

Tobias Reuter M. Sc.

 
 
In Kooperation mit